
Meine geliebte Malou ist ein Energiebündel das vor Lebensfreude sprüht. Gäbe es ADHS unter Katzen, hätte sie es garantiert. Und auch wenn sie mich gerade in der Anfangszeit mit ihrer unbändigen Power hie und da an meine Grenzen brachte, liebe ich sie genau so wie sie ist; sie ist lustig, forsch, stur, und zugleich extrem verschmust und überaus liebevoll. Seit gut 10 Jahren bereichert sie mein Leben zusammen mit ihrer Schwester Akira. Für mich sind die beiden - wie es bereits meine Hündin Leila war - nicht einfach Tiere, sondern Seelenbegleiterinnen mit welchen ich eine tiefe Verbindung habe. Nun wurde bei ihr ein nasales Lymphom diagnostiziert. Die Onkologen schlugen vor, sie zehn Mal zu bestrahlen - täglich während zwei Wochen. Es bestünde dadurch die Chance auf eine verlängerte und gute Lebensqualität. Unbestritten, ich würde und tue alles, damit es meinen Tieren gut geht. Aber dieser Behandlungsplan löste grosse Skepsis in mir aus, und ich begann mich immer mehr zu hinterfragen, was Tierwohl wirklich bedeutet. Während ich Fragen erneut stellte, dessen Antworten ich bereits zu kennen glaubte, offenbarte sich mir das Leben in seiner Ganzheit.
Ich habe mich gegen die Empfehlung der Onkologen entschieden. "Frau Vercellone, dann wird Ihre Katze sterben", teilte man mir mit. Eigentlich hätte ich schreien wollen "Ja, und wüsset Sie was?! SIE IMFALL AU!!!" - stattdessen erwiderte ich, dass ich glaube, sie andersrum zu verlieren, bevor sie stirbt. Dass ich möchte, dass sie so sein darf wie sie ist - voller Leben - solange sie kann. Und dass ich mir wünsche, jene Zeit die uns noch bleibt, einfach zu geniessen; gleichwohl dann aber auch zu wissen, wann es Zeit wird Abschied zu nehmen - und (auch dann!) eben nicht zuzulassen, dass meine eigenen Gefühle dem im Wege stehen, was für Malou am Besten ist. Im Gegenzug habe ich mich für Iscador- und andere anthroposophische Therapien entschieden. Zwischenzeitlich erreichten mich etliche Dafür und Dawider, und liessen mich erneut hadern. Ständig schwingt die Angst mit, eine falsche Entscheidung zu treffen. Obschon wir unsere Tiere durchaus spüren können; es ihnen erklären und sie dazu befragen, das können wir nicht. Oder eben nur bedingt. Was, wenn ich ihr doch im Wege stehe?
In mein Hin und Her floss tonnenweise Energie, während es Malou unverändert gut ging. Wüsste ich nichts, würde ich meinen, ich hätte eine kerngesunde Katze zu Hause, die - abgesehen vom Diagnostik-Trauma - so ist wie immer, einfach ab und an niest. Hingegen ging es meiner sensiblen Akira zunehmend schlechter, sie wirkt verängstigt und reagiert mit heftigen Allergieschüben - ganz so wie ich. Die Iscador-Tumortherapie hätte ich nebst oraler Verabreichung dreimal pro Woche subkutan spritzen müssen. Dazu muss ich sagen, dass ich mit beiden Katzen absolut alles machen kann. Auch Tierärzte stellen immer wieder erstaunt fest, dass sie selbst da, wo andere narkotisiert werden müssen, ohne Sedierung und Betäubung tapfer mitmachen - vorausgesetzt ich halte sie. Und dann kam der 5. Februar, der Tag, an dem meine kleine weise Malou mir deutlich zeigte, was sie will und was nicht. Tagsüber voller Energie, kam am Abend eine mobile Tierärztin um ihr die Iscador-Spritze zu machen, da es mir zuvor zweimal mehr schlecht als recht ge(miss)lungen ist, und ich mich nicht zusätzlich belasten wollte. Malou begrüsste sie freudig und zeigte sich gewohnt zutraulich. Kaum ging es ans Spritzen verspannte sie sich und weinte jämmerlich. Akira fungierte als Polizistin und setzte sich gekonnt für das Wohl ihrer Schwester ein, obschon sie sich sonst vorzugsweise zurückzieht, wenn fremde Leute das Haus betreten. Da verstand ich, dass ich auf mein Gefühl vertrauen darf. Keine Spritzen mehr. Keine Bestrahlung. Nur das was sie will, solange es geht.
Wir alle sterben, irgendwann. Sobald eine tödliche Diagnose im Raum steht, sehen wir uns mit lebensverlängernden Massnahmen konfrontiert. Es sind grosse ethische Fragen, die uns in jenen Phasen begegnen. Wenn es jedoch bedeutet, während dieser Lebensverlängerung aufzuhören zu leben, weil wir Traumatas sammeln und Ängste nähren, dann glaube ich, dass der Preis den wir dafür zahlen zu hoch ist. Abschied nehmen ist immer scheisse, ob wir es hinauszögern oder nicht, irgendwann kommt der Tag, an dem wir es müssen. Und in diesen Tagen, die mich im Tiefsten schmerzen und gleichzeitig heilen, erinnerte ich mich an die Worte einer ehemaligen Mitschülerin: "Du hast den Mut, den Schattenseiten mit der gleichen Unvoreingenommenheit zu begegnen, wie den lichten Seiten - und das ist wesentlich. Licht und Liebe können viele, was du tust wenige". Ich bin dankbar, dass ich einmal mehr diesen Mut in mir aktivieren konnte.
In grenzenloser Liebe für A&M, die mich so viel über das Leben lehren, gelange ich zur Erkenntnis, dass es - zumindest für mich - nicht unbedingt darum geht, dem Leben mehr Tage zu geben. Vielmehr wünsche ich uns allen, dass wir unseren Tagen mehr Leben zu geben vermögen. Denn auf dieser Welt hat alles seine Zeit; sich begegnen und verstehen, sich halten und lieben, sich loslassen und erinnern. Manche Samen führen dennoch zu einer ewigen Ernte, und das hier ist nicht unsere Heimat, das hier ist nicht alles. Wir sind mehr als das, viel mehr - wir tragen das ganze Universum in uns, all-verbunden, all-ein; jetzt und für immer, über alle Zeit hinaus.