Sie sass weinend und zitternd in meiner Praxis. Schambehaftet erzählte sie, dass sie sich in eine Notlage gebracht hat. Sie wisse nicht mehr wo oben und unten ist, ihre Welt liege in Trümmern, und sie glaube nicht, dass sie je wieder Vertrauen fassen könne; nicht in Menschen, nicht in sich, und schon gar nicht in das Leben. Ich würde doch jetzt sicher auch denken, dass sie dumm sei. Aber das tat ich nicht - im Gegenteil. In ihrer Verletzlichkeit erkannte ich ihre Stärke, und hob sie hervor.
Wir sind spirituelle Wesen, die menschliche Erfahrungen machen, und ein Grossteil begnügt sich jahrelang mit den irdischen Ebenen (physisch, emotional und mental), bis sie sich irgendwann fragen, ob das nun alles ist, was das Leben ihnen zu bieten hat. Es ist fast so, als würde dann etwas in ihnen aufbrechen, um sich wieder auf den Weg zu machen - getrieben von ihrer eigenen Existenz. Nun, ich bin felsenfest davon überzeugt, dass es noch sehr viel mehr gibt, und in diesem Mehr steckt auch unsere seelische Bestimmung: der Grund, warum wir hier sind. Und ich glaube, früher oder später irren wir alle in diesem Leben umher, bis wir meinen, unseren Sinn gefunden zu haben. Die Problematik besteht, so wie bei jener Klientin darin, dass wir auf der Jagd nach Schmetterlingen manchmal vergessen, unseren eigenen Garten zu pflegen.
In jener Sitzung klärten wir unter anderem den relevanten Unterschied zwischen «getrieben sein» und sich «treiben lassen»; ersteres sind Steuerungsmechanismen aus der physisch-mentalen Welt, zweites entspringt der Seele. Und sie erkannte aber auch die erwähnte Stärke, dass sie nicht einfach irgendwo stecken bleibt, wo sie nicht hingehört, sondern das Risiko in Kauf nimmt, sich auf dem noch unbekannten Weg zu verirren. Ja, wir fallen. Ja, wir scheitern. Ja, manchmal vermasseln wir alles. Aber jeder Moment den wir leben ist durch den Glauben verbunden, dass unsere Handlungen am nächsten Tag, in der nächsten Woche, dem nächsten Leben, zu etwas Grösserem beitragen. Zu etwas, das grösser ist als wir selbst.
Die Antwort nach dem Sinn jener Klientin bleibt offen, doch sie konnte sich von ihrer Scham befreien, sich selbst verzeihen, und sich wieder liebevoll ihrem Garten widmen - weil sie sich ihren inneren Anteilen zuwandte, und ganzheitlich zu verstehen begann, was sie dazu trieb. Ich bin davon überzeugt, dass genau solche Prozesse die Grundvoraussetzung dafür sind, dass wir unserer Bestimmung näher kommen; durch das Pflegen unseres eigenen Gartens - und der Erfahrung, dass die Schmetterlinge dadurch von alleine kommen.