Sekundenkleber

Ganzheitliche Psychosoziale Beratung Sara Vercellone - Blog Sekundenkleber
Ganzheitliche Psychosoziale Beratung Sara Vercellone - Blog Sekundenkleber

Wenn wir uns mit Leib und Seele auf zwischenmenschliche Beziehungen einlassen, geben wir immer einen kleineren oder grösseren Teil unserer Selbst hin. Es ist unmöglich, diesen sehr persönlichen Teil nach einer Trennung wieder zurückzufordern. Er bleibt für immer in diesem «Wir» gefangen, und lebt in einer geschlossenen Erinnerung weiter, die gefüllt ist mit Bildern aus der gemeinsamen Zeit, (un)gelebten Gefühlen und geteilten Gedanken. Meistens ist das völlig ok, aber dann gibt es diese einen Menschen in unserem Leben, die uns derart berührt haben, dass sie die Bühne unseres emotionalen inneren Theaters nie mehr verlassen. Die Frage, was vielleicht hätte daraus werden können, wenn dies und jenes anders gewesen wäre, lässt uns in unserem ganz persönlichen Konjunktiv leben und Präsens und Futur verkennen. Jene Menschen haften an unserem Herzen wie Sekundenkleber, ebenso unser persönlicher Teil in diesem Wir. Ablösungsversuche schmerzen und scheinen praktisch unmöglich. Weil es einfacher ist, mit Schmerz umzugehen wenn wir einen Schuldigen oder eine Begründung für das Geschehene haben, beginnen wir alles zu zerdenken, um irgendwann ernüchternd festzustellen, dass es für jene Wunde, die dieser Teil in sich trägt, weder einen Schuldigen noch eine plausible Begründung gibt. Mit dem Kopf lässt sich nunmal nichts erklären, was im Herzen lebt. Herzen fliegen frei, wohin sie wollen. Wie Zugvögel haben sie keinen Begriff von Grenzen. 

 

Vielleicht fragst du dich nun, was du tun kannst im schmerzhaften Dilemma mit einem Sekundenkleber, bei dem der Kopf und das Herz eine komplett andere Sprache sprechen? Ich verrate es dir! Zunächst einmal ist es wichtig zu verstehen, dass es im Grunde ist völlig irrelevant ist, die Entstehung der Wunde zu ergründen. Es geht einzig und alleine um die Heilung der Wunde, und hierzu ist es hilfreich zu begreifen, dass du - und nur du - dafür verantwortlich bist; denn es ist und bleibt dein Teil. Beginne jene Dinge hinzunehmen, die nicht mehr veränderbar sind, für Klärung zu sorgen, wo du noch für Klärung sorgen kannst und willst, und dann akzeptiere einfach was war und ist. Ohne Beschönigung, und ohne alles verstehen und verändern zu wollen. Wenn du das geschafft hast, wird es Zeit zu vergeben: Alles und allen, und insbesondere dir selbst. Dem eigenen Frieden zuliebe, und um zu erkennen, dass du jederzeit die Macht hast, deine Geschichte neu zu schreiben. Diese Erkenntnis lässt dich wachsen, und vielleicht entpuppt sich dein Konjunktiv dann sogar allmählich als Illusion. Ganz sicher aber entpuppst du dich von der Raupe zum Schmetterling. Und dennoch wirst du vermutlich immer wieder feststellen, dass dein Herz deinen Sekundenkleber nach wie vor festhält, ihn nicht freigeben kann und will. Durch den Verlust seiner Hauptrolle in deinem emotionalen inneren Theater wird es dir aber trotzdem gelingen, dich dem Leben immer wieder vertrauensvoll zuzuwenden, im Wissen, dass es kommt, wie es kommen muss - sowieso.

 

Es geht im Leben nicht darum, alles verstehen und lösen zu müssen, ganz im Gegenteil. Manchmal, und sehr oft, geht es ganz einfach darum, sich mit dem Ungelösten zu versöhnen und nicht mehr krampfhaft nach Antworten zu suchen. Manchmal ist ein Vielleicht mehr als genug, und manchmal ist die Frage selbst bereits die Antwort. Oder wir wachsen, ohne es zu merken, eines fernen Tages in die Antwort hinein. Vielleicht bleibt der Sekundenkleber haften, aber dann einst richtig. Und vielleicht löst er sich durch den freigewordenen Raum schmerzfrei und gänzlich ab. Vielleicht, vielleicht. Wichtig ist und bleibt das Jetzt. Das Umarmen des Vielleichts in allen möglichen Formen. Das Betrachten unserer Bühne nach diesem Akzeptanz- und Vergebungsprozess. Zwar nach wie vor mit etwas lädierten Herzen, aber mit erhobenem Kopf. Denn weisst du, für sich einzustehen ist die allerwichtigste Liebeserklärung, die man machen kann; sie gilt dem Regisseur des Bühnenbildes, der Hauptrolle schlechthin. Der Person, mit der wir ganz sicher, ohne den leisesten Schimmer eines Vielleichts, den Rest unseres Lebens verbringen werden. Niemand Geringerem als uns selbst. 

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