Meine Grossmutter befindet sich in ihrem letzten Lebensabschnitt. Nach einen Oberschenkelbruch Ende Juni hatte sie mit etlichen Tiefschlägen zu kämpfen. Zeitweise hat sie sich aufgegeben, und auch wir Angehörigen haben irgendwann phasenweise nur noch gehofft, dass sie von ihren Leiden erlöst wird. Solche Lebensabschnitte werfen natürlich immer Fragen auf, sie können aber auch absolut bereichernd sein. Tiefgründige Gespräche sind in solchen Phasen keine Seltenheit.
Neulich haben wir uns über Werte unterhalten. Sie ist damals mit acht Geschwistern aufgewachsen und natürlich konnte in einer solchen Grossfamilie materiell längst nicht auf jeden Wunsch eingegangen werden. Dennoch beschreibt sie ihre Kindheit als wunderschön. Als sie 21 Jahre jung war, lernte sie meinen Grossdädi kennen, mit dem sie über 60 Jahre ihres Lebens verbrachte. Bis der Tod sie scheidete. Die Liebe zwischen ihnen war bis zum Ende und darüber hinaus spürbar. Noch heute ist sie dankbar für alles was war und ist, auch wenn heute vieles anders, und so manches nicht mehr möglich ist. Woran es wohl liegt, dass Unzufriedenheit heute zur Volkskrankheit geworden ist, und dass derart lange Beziehungen eine klare Minderheit darstellen, habe ich sie gefragt. Sie entgegnete schulterzuckend «vermutlich haben sich einfach die Werte verändert. Früher hatte man materiell viel weniger, dafür war der Zusammenhalt wichtig; das Zwischenmenschliche war unser höchstes Gut. Heute scheint Anderes wichtiger. Vielerorts hat man jetzt in materieller Hinsicht zwar fast alles, kann aber irgendwie nichts mehr wirklich geniessen. Dadurch hat man vielleicht auch das Bleiben verlernt». Und so sass ich am Spitalbett meiner 89-jährigen Grossmutter, hielt ihre Hand in meinen Händen, und war zutiefst berührt.
In den darauffolgenden Wochen hat sich ihr Zustand überraschenderweise stabilisiert. Irgendetwas in ihr scheint zu kämpfen. Meine Mutter und ich konnten sie motivieren, mit uns an die frische Luft zu kommen. Sie war seit gut fünf Wochen nicht mehr draussen, hat das Bett kaum verlassen. Im Rollstuhl schob ich sie durch die Spitaltüre, und als die Sonne ihre Haut berührte, schossen Tränen in ihre Augen. Voller Staunen, so als würde sie die Welt zum ersten Mal sehen, blickte sie in sie hinaus. Behutsam berührte sie uns: «Vielen herzlichen Dank, dass ihr das für mich tut. Was wäre ich nur ohne euch alle? Dass ich das noch erleben darf... welch eine wunderschöne Welt, so unglaublich schön!». Und auch ich rang mit den Tränen. Ich erinnerte mich an ihre Worte ein paar Wochen zuvor. Auf brillante Art und Weise bewies sie in diesem Moment, dass sie ihr Geheimnis des Glücklichseins nicht vergessen hat - wenn sie auch sonst sehr vieles vergisst. Manch einer mag vielleicht denken, dass sie doch im Grunde nichts mehr hat, und objektiv betrachtet hat er vermutlich recht. Dennoch ist es offensichtlich für sie mehr als genug, um noch etwas länger hier zu bleiben. Vermutlich ist es letztlich genau das, was mein beinah todgeweihtes Grosi so kämpfen liess; ihre unermüdliche Lebensfreude. Und da frage ich mich, ob das Geheimnis des Glücklichseins tatsächlich so einfach ist? Vielleicht nicht immer, auch für sie nicht. Sicher ist aber jetzt für mich, dass es eine unglaublich kraftvolle Wirkung hat, wenn es uns gelingt, dieses in unseren Herzen zu manifestieren.
Vielleicht sollten wir aufhören, uns laufend über Dinge zu beschweren, die wir nicht ändern können, oder die wir nicht haben. Wir müssen aufpassen, dass wir uns vor lauter Wohlstand nicht in der Sinnlosigkeit verlieren, denn die wichtigsten Dinge im Leben sind immaterieller Natur. Es sind ausnahmslos immer die zwischenmenschlichen Verbindungen und das alltägliche Entdecken der Wunder dieser Welt, die unsere Seele wirklich nähren. Es wäre also erstrebenswert, unseren Fokus entsprechend anders auszurichten. Weg vom Hunger nach immer noch mehr, weg vom Mangeldenken. Denn manchmal werden wir niemals finden, was wir suchen, wenn wir nicht stehenbleiben auf unserer Jagd, und anfangen mit dem Herzen zu sehen. Dazu müssen wir lernen, auch einfach mal nichts zu tun und innezuhalten. Wahrzunehmen, was um uns herum geschieht, was wir alles haben, vielmehr noch aber, was wir tief in uns tragen. Auf diese Weise dürfen wir erfahren, dass wir uns jederzeit - ohne irgendwelches Zutun - in absoluter Fülle befinden. Wir alle. Nur, wie sie immer zu sagen vermag, «s'Bescht drus machä muäss mr sälber!».
Lasst uns dieses Geheimnis des Glücklichseins ewig bewahren. Erwecken wir es zum Leben, so wie es mein geliebtes Grosi wieder zum Leben erweckt hat. Und es ist völlig egal, wie lange es dies noch tut. Das einzige Wichtige ist für mich, dass sie dieses Glücklichsein immer mal wieder in ihrem Herzen verspürt. Das wünsche ich uns allen. Jetzt und jeden Tag.
P.S.: Falls es dir gerade schwer fällt innezuhalten und dieses Geheimnis zu leben, kann ich dich mit meinem ganzheitlichen Angebot gerne dabei unterstützen. Es ist unser aller Geburtsrecht, mit dem Herzen zu sehen und glücklich zu sein. Jeder Mensch verdient das, auch du!